Archive für den Monat: August 2014

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Im folgenden Beitrag bitte ich eine Jetlag-bedingte Beeinträchtigung meiner Wahrnehmung zu entschuldigen :-)

Gerade gelandet, finde ich mich auf dem Rücksitz eines Kleinbusses wieder. Um mich herum ein Meer von Autos. Im Schritttempo werden wir durch die Stadt geschwemmt. Hoch im Nachthimmel sehe ich bedrohlich unzählige Fenster leuchten. Sie starren mich an, als wären es die Augen der Hochhäuser, die sich fratzenhaft von der Schwärze der Nacht abheben. Noch nie habe ich so viele, so gewaltige Hochhäuser gesehen. Am Fuße dieser Wohnhauswände krallen sich Wellblechhütten ineinander, türmen sich auf, kämpfen um den höchsten Platz.

Ich spüre die Stadt, die Enge, die vielen Menschen. Es ist ein bedrückendes Gefühl, wie wenn man durch einen engen, niedrigen Gang geht. (Nun gut, ich komm ja auch vom Land, wo man noch jede Kuh beim Namen kennt). Einerseits fühle ich mich geborgen, lasse die Vielfalt durch ein Fenster an mir vorbeifliegen. Zur gleichen Zeit ist der Anblick aber auch beängstigend. Zum ersten Mal in meinem Leben kommt mir dieser eine Gedanke: Wenn ich jetzt aussteig, die Tür hinter mir zuzieh, dann bin ich absolut planlos, völlig allein, verloren.

Und mit einem Mal bin ich froh, um die Scheibe zwischen mir und der Stadt, um die unglaublich netten Menschen, die uns hier empfangen haben und für uns sorgen, um die Gitter an den Fenstern und die Polizeikräfte, die hier nicht nur die Unterkunft, sondern auch Restaurants und Supermärkte bewachen. Man muss es ja am Anfang noch nicht übertreiben.

Ich glaub, ich muss gleich aufbrechen!

Aufbrechen, abbrechen, ausbrechen.

Die Beschreibung meiner derzeitigen Lage klingt schon etwas dramatisch und radikal - berechtigterweise. Morgen werde ich im Flugzeug sitzen und 15 Stunden auf die Philippinen fliegen, ein Land, das die meisten Deutschen nur aus Katastrophenberichten der Tagesschau kennen. Für ein Jahr werde ich meiner Heimat den Rücken kehren, und damit alles zurücklassen – meine Gewohnheiten und Ansprüche, meine Mitmenschen und Beziehungen.

Aufbrechen, abbrechen, ausbrechen.

Die Gedanken an Morgen, sie sind mir dennoch bis jetzt nur eine ferne, unwirkliche Bedrohung meiner kleinen, heilen Welt. Ich steh auf, schlürf meinen Kaffee, atme frische, kühle Luft, düse mit meinem Auto ziellos von Ort zu Ort, treffe Freunde, wünsche ihnen viel Glück im Leben und umarme sie lässig, als wärs ein Abschied bis nächste Woche. Es kommt mir vor, als läge ich spät am Vormittag noch im Bett und weigerte mich aufzustehen, weil ich nicht sicher bin, was der Tag bringt. Ich weiß, dass ich irgendwie noch nicht ganz in der Realität angekommen bin, dass ich träume, aber wie soll ich aufwachen?

In der Schule lehrten sie uns immer nur, zu wiederholen, weiter zu machen, in eine Richtung zu gehen. Niemand hat mir beigebracht, aufzubrechen, abzubrechen, auszubrechen aus dem Alltag. Wahrscheinlich fällt es mir deshalb so schwer, jetzt Abschied zu nehmen.

Naja, ich werde bald keine andere Wahl mehr haben, als meinen AufbruchP1010111 zu realisieren, und ich kann immerhin sagen: ich freu mich auf den Sprung ins kalte Wasser.

 

Ich denke gerne an die Zeit zurück, als ich mir noch Sorgen machte, ob meinen Eltern vier Liederbücher, die ich mitnehmen wollte, im kommenden Jahr arg fehlen würden. Alle vier stehen mittlerweile wieder seelenruhig an ihrem altbekannten Platz im Schrank. Kein Platz im Koffer. Doch mit dieser schweren Entscheidung ist die Qual der Wahl noch nicht überstanden. Wie sich die unterschiedlichsten Gegenstände in der Mitte meines Zimmers stapeln, türmen sich auch die Fragen:

Soll ich einen Föhn mitnehmen? (Ich kann mich zwar nicht mehr erinnern, wann ich mich das letzte mal geföhnt hab, aber die Gelegenheit kommt bestimmt). Und was ist mit einer Taschenlampe? Oder gleich einer Kerze? (Strom haben die da schon, oder?) Brauch ich die 100 Liter Sonnenmilch, die mir meine Mutter andrehen will? Und sollte ich nicht lieber doch einen Jahresvorrat an Desinfektionsmittel, Insektenspray, Duschgel und Nutella einpacken? Oder dann lieber gleich meinen Computer, mit dem ich mir bestellen kann, was mir noch fehlt? Meine eigene Decke ist sicher bequemer, als die Decke dort im Heim - noch angenehmer wäre mein eigenes Bett! Bleib ich doch hier - dann blieb mir absolut alles, was ich brauch, zu jeder Zeit mit Sicherheit!

Mit diesem Gedanken nehme ich meine bereits schwer bepackte Tasche und schütte ihren gesamten Inhalt auf den Boden. Wofür gehe ich wirklich auf die Philippinen? frage ich mich.

Ich öffne die nun leere Tasche und lege meine Bibel hinein.